Die Türkei also. Wir waren erst ein Mal in der Türkei und das war für einen Nachmittag lang, als wir von Lesbos aus einen Boottrip gemacht haben. Damals waren wir nicht so begeistert: lauter Basar, viele Touristenfänger, die einem alles mögliche andrehen möchten, was man nie im Leben brauchen wird und nicht besonders gutes Essen. Jetzt aber mit dem eigenen Motorrad (immer ein gutes Vorzeichen) und viel Zeit im Gepäck, um tiefer in die einheimische Kultur eintauchen zu können. Also los:
Als wir an die türkischen Grenzstationen kommen, macht sich erst einmal Ernüchterung breit, schreit uns der grimmige Grenzer mit Oberlippenbart doch einfach lauthals an - keine Ahnung was er von uns wollte. Wir sind einfach weitergefahren und wurden nicht erschossen. Waren die etwa einstündigen Grenzformalitäten (viel Warterei) erstmal erledigt, ging es schnurstracks auf die Halbinsel Gallipoli in Richtung Eceabat. Da wir bei unseren Stops bemerkt hatten, dass es kaum Gemüse in den Restaurants und Futterbuden zu geben scheint, haben wir kurzerhand einen sehr freundlichen Familienvater gefragt, was "Gemüse" auf Türkisch heiße, er deutet nüchtern auf eine Tomate und sagt: "Sebze. Tomatoes are totally Sebze." Seither könnte man jede Fahrpause als die große Suche nach Sebze bezeichnen, da einem Fleisch und Brot doch irgendwann etwas spärlich vorkommen, zumal wir ja überzeugte Low-Carbler sind.
Überfall chinesischer Frauen - wir sind Superstars, juhu!
Da wir beide Homers Ilias gelesen haben, ist es selbstverständlich, dass wir uns die Ruinen Trojas anschauen. Was uns dort erwartet sind die immer leidigen Touristenangebote, wie Poserbilder in Hoplitenkostümen, teure Orangensäfte und überteuerte Audioguides, die mit der Brechstange versuchen, die wirklich unepischen Ruinen großartig erscheinen zu lassen. Überhaupt nicht unser Ding. Aber wir haben es gesehen und ein paar Fotos gemacht, wie es sich gehört. Als wir dann allerdings vom Gelände gehen, wird es endlich lustig: Eine große Reisegesellschaft aus China stürmt auf uns zu (im wahrsten Sinne!) und hat im Nu unser Motorrad umzingelt und alle Kameras gezückt, die auffindbar sind. Zuerst dachten wir, dass es Japaner seien, die unsere japanische Marke abfeiern - aber weit gefehlt. Sie finden Ben "so handsome" (so gut aussehend), streicheln mit zugekniffenen Augen über seine Textilkombi und machen Fotos, Fotos, Fotos. Er wird quasi herumgereicht, in die richtige Richtung gezogen und sein Ego gefährlich weit aufgebläht. Das alles geschieht unter dem Achselzucken und den entschuldigenden Blicken der wartenden Ehemänner, die nervös auf ihre Uhren schauen, da der Busfahrer des riesigen Mercedes schon ungeduldig wird.
Also, es war so: wir, oder besser gesagt Ben, wollte unbedingt ins Kino und seinen Nerdtraum wahr werden lassen: Warcraft im Kino sehen. Das Strategiespiel verfilmt, dass er mit 14 Jahren zum ersten Mal gespielt hat. Also hieß es recherchieren, ob es den Film im englischen Original gibt, herausfinden, dass das der Fall ist und ab ins "Cinemaximum" in Canakkale. Da wir etwa 25 Kilometer nördlich bei Troja campen, heißt das, etwa 20 Minuten Schnellstraße bis zum Kino. Die Koffer haben wir vorher leer gemacht und wieder verschlossen, allerdings ohne die Vorhängeschlösser. Resultat: Als wir am Kino ankommen, ist der linke Kofferdeckel einfach weg! Wir sind erst einmal ziemlich erschüttert, haben aber kaum Zeit, über das Problem zu sinnieren und stürmen ins Kino, da wir mal wieder kurz vor knapp da sind. Wir genießen also den Film (der Hammer - wir haben ihn beide gefeiert!) und fahren danach den Hinweg noch einmal ab, um nach unserem Kofferdeckel zu suchen.
Hornissenstich! Autsch!
Als wir wieder bei unserem Zelt ankommen, sind wir nicht fündig geworden und beschließen, die letzten 30 Minuten Tageslicht zu nutzen, um die Strecke noch einmal abzusuchen - denn ohne Kofferdeckel wird natürlich der gesamte Inhalt nass und dreckig, was auf der vor uns liegenden Route recht ungünstig wäre.
Da fahren wir also los, und zack, sticht Ben eine fette Hornisse direkt in den Hals und er schreit prompt auf vor Schmerzen (nicht der stolzeste Moment, wenn man jammert wie ein kleines Mädchen :-)). Der Schmerz will auch nicht nachlassen, trotzdem wird mit tränenden Augen der Weg abgefahren - aber auch hier: Fehlanzeige. Also beschließen wir, am nächsten Tag in Richtung Pergamon nach einer Werkstatt zu suchen, die uns einen neuen Deckel zusammenschweißen kann.
Diese Hilfsbereitschaft! Diese Gastfreundschaft!
Den ersten Anlauf unternehmen wir in Edremit. Da in der Türkei so gut wie niemand auch nur ein einziges Wort Englisch spricht, gestaltet sich die Erklärung dessen, was wir benötigen als äußerst schwierig. Wenn es dann mal mit Hand und Fuß klappt, sagt uns jeder Motorradschrauber: ne, sowas geht hier nicht. Doch dann hält Ufuk an, ein Türke, der lange in Nürnberg gelebt hat und sagt uns auf Deutsch, dass wir ihm folgen sollten, er wüsste da wen. Er nimmt sich wirklich Zeit und wir finden jemanden, der es könnte - aber nicht machen will. Hier der Grund: "Wenn die in Deutschland sehen, was ich gemacht habe, ist das nicht so gut wie das Original und die sagen dann, die Türken haben das schlecht gemacht, weil ich es nicht so gut wie ein Deutscher machen kann." Hm. Also fahren wir weiter nach Pergamon, wo uns ein Hondahändler hilft. Auch er sagt: "Fahrt mir einfach hinterher und ich bringe euch zu dem richtigen Mann für den Job. Genau das tut er und eine Stunde später halten wir einen neuen Kofferdeckel aus verzinktem Stahl in den Händen, der perfekt passt. Der Mann will nur 10 Euro dafür haben. Wir geben ihm mehr und sind happy, dass alles gut gegangen ist.
Gefahrene Strecke: Soufli - Pamukkale
Gefahrene Kilometer: 1.000
Zwischenstopps: Troia, Pergamon, Ephesus
Preisniveau: Nicht so günstig wie man denkt. Essen reecht teuer, 8-10 Euro pro Mahlzeit , Hotels recht teuer, besonders gemessen an dem schlechten Standard, Camping recht günstig - unbedingt verhandeln und zwar überall!
Infrastruktur: Europäischer Standard.
Politik, das leidige Thema
Natürlich sind wir auch nicht umhin gekommen, über Politik zu sprechen. Und "Politik" heißt heutzutage in der Türkei "Erdogan". Jeder mit dem wir gesprochen haben - und die Türken, die wir getroffen haben, reden gerne über Erdogan - hat uns versichert, dass Erdogan so ziemlich das schlimmste für die Türkei sei und dass er das Land erfolgreich versuche zu spalten: Türken gegen Kurden, strenge Muslime gegen liberale Muslime, Osttürkei gegen Westtürkei, etc. In einer kürzlichen Fernseherklärung hat er angeblich gesagt, jede türkische Frau, die nicht jedes Jahr ein Kind für ihn gebäre, sei für ihn auch keine Frau. Natürlich können wir selbst das nicht bestätigen, aber für ausgeschlossen halten wir es nicht. Ziemlich pervers. Nicht zu übersehen ist der Einfluss des Konflikts zwischen Kurden und Türken, den Erdogan sicherlich maßgeblich befeuert hat: es sind kaum Touristen im Land und alle beklagen sich darüber, dass es bergab gehe, weil der Ruf und die Kassen leiden. Schade eigentlich, denn die Gastfreundschaft und Offenheit der Türkei, die durch den hier (noch) gelebten Laizismus garantiert werden, sind für ein muslimisches Land sicherlich nicht selbstverständlich. Wir können die Türkei jedenfalls uneingeschränkt weiterempfehlen!