Heute sind wir in Novosibirsk, der Hauptstadt Sibiriens und schauen auf knapp drei Wochen (mal wieder) turbulenter Zeit zurück. Nach einer Menge Ärger mit der Schweizer Werkstatt Muztoo in Osch, einer Reifenpanne, einem Zusammenstoß mit betrunkenen Kirgisen und 1800 Kilometern in drei Tagen gibt es mal wieder einiges zu berichten.
Gefahrene Strecke: Osch (Kirgistan) - Novosibirsk (Russland)
Bereiste Länder: Kirgistan, Kasachstan, Russland
Gefahrene Kilometer: ~3.100
Bei unserem letzten Update berichteten wir von den Schönheiten und Strapazen des Pamir Highway. Dieses Mal geht es eher um die Vorzüge einer Woche Pause und die gleichzeitigen Strapazen einer Woche Kontakt zu Muztoo: Als wir vom Pamir zurückkommen sind wir erschöpft aber glücklich darüber, nun endlich unser Paket aus Deutschland von Muztoo abholen zu können. Denn nachdem wir einmal vertröstet worden waren, sagte uns Inhaber Patrik vor der Abreise zum Pamir, dass er mit dem Fahrer gesprochen habe, dieser vor der Kirgisischen Grenze sei und das Paket damit auf jeden Fall da sein würde, wenn wir zurückkommen. Nun sind wir acht Tage später zurück, Patrik ist zehn Tage fort und seine wirklich unfreundliche rechte Hand Dave sagt uns nun, das Paket sei noch nicht da, aber er wisse nicht wo es ist. All das macht er in der Hitze seines Hofes und schüttet sich dabei ein kühles Glas Wasser ein, nur um die Flasche direkt wieder wegzustellen. Sei’s drum. Doch zur Erinnerung: In dem Paket befindet sich dringend benötigte Regenkleidung von unserem Partner Polo, in der Region unbezahlbare und schwer aufzutreibende Reifen unseres Partners Heidenau, unsere geliebten Vitalstoffe und vielleicht das ein oder andere kleine Präsent von der Familie daheim. Aber wir bleiben freundlich, fragen, ob er bitte Kontakt mit seinem Fahrer aufnehmen könne. Das tut er dann auch und sagt uns, dieser sei noch vor der russischen Grenze in Europa, obwohl er doch laut Patrik vor acht Tagen schon vor der kirgisischen gewesen sein soll.
Außerdem seien die Reifen aussortiert worden. Der Rest käme aber nun sicher in 5-7 Tagen, weil der Fahrer unterwegs sei. Nach sieben Tagen ist aber immer noch kein Fahrer da und wir werden wieder vertröstet: Keine Ahnung wo der Fahrer sei, heißt es jetzt. Aufgrund der entstandenen Verzögerung müssen wir mittlerweile für dreißig Dollar Ellis Kasachstan Visum verlängern und entscheiden uns, dass wir nun wirklich losmüssen, damit wir in Sibirien nicht in Schnee geraten. Ohne unser Paket und ohne zu wissen, wann und ob es denn kommt. Allerdings auch mit der Gewissheit, dass wir wieder Transportkosten zahlen müssen, wenn Muztoo uns das Paket irgendwohin hinterherschickt. Besonders ärgerlich ist, dass sie uns auf unsere Bitte nach mindestens dem Erlassen ihrer 130 Euro Transportkosten sagen, dass das auf keinen Fall gehe. Zur Erinnerung: der Transport ist ein Standardtransport von ihnen mit dem Hausstand eines Mitarbeiters aus der Schweiz. Wir ärgern uns mittlerweile so sehr über die Art und Weise dieses „Reiseveranstalters“, dass uns auch nichts mehr dazu einfällt. Also heißt es Ärger herunterschlucken und weiterfahren, ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, dass Muztoo uns bei der „Reparatur“ einen gebrauchten Dichtring in die Wasserpumpe eingebaut hat, statt eines neuen. Doch dazu später mehr. Übrigens ist Ben in der Wartezeit in Osch noch 30 geworden. Aber darüber spricht man am besten nicht ;-).
Auf den 600 Kilometern zwischen Osch und der kirgisischen Hauptstadt Bischkek passiert dann das nächste Malheur: bei Tempo 120 fängt das Hinterrad plötzlich an zu flattern und nur mit Mühe gelingt es uns, nicht aus voller Fahrt zu stürzen: Platten auf dem Hinterrad! Und zwar mitten im Niemandsland. Lustiger weise sind wir mittlerweile recht entspannt, denn wir haben wirklich gelernt, dass jedes Problem eine Lösung hat und die Zeit bis dahin kann man entweder mit Ärger und Frustration verbringen, oder entspannt und gut gelaunt. Beim Blick auf den Reifen zeigt sich, dass scheinbar irgendetwas Scharfes den Reifen aufgeschlitzt hat. Der Riss im Profil ist so tief, dass man eine 2-Euro-Münze bis zum Schlauch durchschieben kann. Also bringt auch ein neuer Schlauch nichts. Als wir ein Polizeiauto sehen, halten wir die beiden Beamten an und sie sind sofort sehr freundlich und hilfsbereit. Ehe wir uns versehen, ist das Motorrad schon auf einen Kleinlaster verladen und dann hält auch noch ein nettes belgisches Pärchen auf einer F800GS neben uns an, mit dem wir einige Stunden vorher zusammen zu Tisch saßen. Sie haben ein Spannseil im Gepäck, womit wir unsere Tätärä fachgerecht verschnüren können. Auf den nächsten 300 Kilometern nach Bischkek, die über echt üble Pisten führen, ist das auch bitter nötig, denn das Motorrad wird echt hart hin und her geworfen. Aber wir kommen an, das zählt :-)! Die nächsten Tage in Bischkek verbringen wir damit, einen neuen Reifen zu finden. Den finden wir schließlich in Form eines passenden second-hand Heidenau Pneus, der uns aus einem alten Frachtcontainer mit der Aufschrift „Hamburg Süd“ verkauft wird. Echt urig!
Scheint alles glatt zu gehen, oder? Aber du wärst hier nicht auf www.horizonride.de, wenn da nicht doch noch etwas Abenteuerliches passieren würde, oder :-)? Diesmal läuft das so: wir haben uns in einem kleinen Guest House einquartiert und Ben bekommt plötzlich Fieber und Brechdurchfall – hallo Lebensmittelvergiftung! Als er endlich schläft und es ihm bessergeht, werden wir wach, weil mehrfach Menschen versuchen in unser Zimmer zu gelangen und an der verschlossenen Tür rütteln. Nachdem wir kurz lauschen stellt sich heraus, dass in unserem Guest House scheinbar eine Party am Gange ist. Als wir hinausgehen und die Leute fragen, was los sei (es ist zwei Uhr nachts), wird uns gesagt hier sei eine Geburtstagsfeier am Gange. Wir gratulieren artig und bitten gleichzeitig darum, es ein kleinwenig leiser anzugehen. Die Antwort überrascht uns dann doch: „Nein.“ Mit der Besitzerin des Guest House können wir leider keine Rücksprache halten, geschweige denn uns beschweren, denn sie ist schon so betrunken, dass sie nicht mehr ansprechbar ist. Also heißt es versuchen weiterzuschlafen, was aufgrund von Bens Zustand gar nicht so einfach ist. Am nächsten Morgen sind wir ziemlich gerädert und wollen so schnell es geht verschwinden, da die Party offensichtlich um sieben Uhr wieder zum Leben erweckt wird mit ohrenbetäubender Musik und johlenden Betrunkenen. Da erscheint auch schon die Besitzerin mit glasigen Augen von der Toilette, wo sie sich gerade übergeben hatte und will das vereinbarte Geld von uns einsammeln. Elli wird daraufhin ziemlich sauer, fragt sie, warum sie uns nicht über die Party im Vorfeld informiert habe und schickt sie fort.
Wir packen unsere Sachen und entschließen uns, für diese Tortur nichts, oder zumindest deutlich weniger zu bezahlen. Doch wir haben die Geldgeilheit unserer kirgisischen Gastgeber unterschätzt. Als wir unser Motorrad in dem Innenhof mit seinem riesigen Tor bepacken, marschieren viele betrunkene Männer mit der Frau zusammen auf und verschließen das Tor. Bevor die Situation eskaliert gibt der noch immer sehr schwache Ben ihr 500 Som von den vereinbarten 700. Doch die Besitzerin will sich auf den Kompromiss nicht einlassen und wird wütend. Ihre betrunkenen Freunde werden aufdringlicher und fangen an, wie Betrunkene das eben tun, unser Motorrad zu begrabschen und schlechte Witze zu reißen. Also geben wir ihr die restlichen 200 um des Friedens Willen und damit wir endlich gehen können, doch da verlangt sie plötzlich 800. Werden wir hier gerade Zeuge eines recht eigenwilligen Überfalls? Bevor wir es herausfinden, gelingt es Elli, das doppelflügelige Metalltor zur Straße zu öffnen und Ben fährt flott hinaus.
Doch die ganze Bagage läuft uns hinterher und bevor Elli aufsteigen kann, springt einer der Betrunkenen hinter Ben auf den Soziussitz und beide fallen fast auf die Seite. Nun eskaliert die Lage. Ben ist wütend und redet auf seinen unfreiwilligen Sozius ein, der recht aggressiv agiert, kann ihn aber nicht abschütteln, da er zwischen Tankrucksack und dem Vodka-Kirgisen eingeklemmt ist. Die anderen johlen und fordern mehr Geld, da gelingt es der nun panisch werdenden Elli, ein einsames Auto anzuhalten, das durch die Gasse fährt. „Rufen sie die Polizei“, schreit Elli und die Fahrerin ist sichtlich irritiert und betrachtet besorgt die Situation. Das scheint zu helfen, denn die Gastgeberin und ihre Spießgesellen bemühen sich nun um Beschwichtigung – eine Begegnung mit der Polizei scheinen sie wohl vermeiden zu wollen. Als der Partygast hinter Ben vom Motorrad absteigt, springt Elli schnell auf und wir rasen so schnell es geht davon. Als wir einige Zeit später versuchen, die Panik und das Adrenalin aus unseren Knochen zu schütteln, sind wir uns ziemlich sicher, dass wir hier noch einmal einem echten Problem von der Schippe gesprungen sind. Und wir sind uns sicher, dass Kirgistan mit seinen vielen Besoffenen, den Steine schmeißenden und Stinkefinger zeigenden Kindern uns allzu bald nicht wiedersehen wird.
Bald darauf geht es nach Kasachstan, besser gesagt Almaty, die fast europäisch anmutende Großstadt des Landes, die seit langer Zeit endlich wieder modernes Leben verspricht. Wer hätte gedacht, dass uns dieses Leben einmal fehlen würde? Hier sind die Straßen in Ordnung, es gibt alles, was es in Europa auch gibt: Internet, fließendes Wasser, saubere Guest Houses, McDonald’s, Supermärkte, Straßenbahnen, und, und, und. Wir hätten nie gedacht, dass Kasachstan ein so modernes Land ist. Allerdings werden wir nicht viel von Kasachstan sehen, denn unsere Zeit nach Wladiwostok zu gelangen, ist nun auf etwa fünf Wochen begrenzt, denn dann beginnt es in Sibirien zu schneien. Keine lange Zeit für über 8.000 vor uns liegende Kilometer. Also fahren wir die nächsten Tage früh morgens durch endlose Steppe, über grauenhafte Straßen mit tiefen Schlaglöchern, aufgerissenem Teer, heftigen Spurrillen und langen Schotter- und Sandpassagen. Zwei Tage später sind wir extrem erschöpft, aber auch stolz, 1.200 Kilometer zurückgelegt zu haben und schon vor der russischen Grenze zu stehen. Dort sind die Formalitäten einfach und freundlich und so sind wir am dritten Tag abends schon in Barnaul und tags darauf in Novosibirsk. Auf dem letzten Abschnitt treffen wir sogar noch einen sehr netten Russen auf einer alten Honda Goldwing und verbringen einen netten Abend und ein noch netteres Autobahn-Seitenstreifen-Picknick mit ihm, bevor wir unsere Couchsurfing Gastgeber in Novosibirsk treffen.
Leider sehen wir auf den letzten Meter, dass unser Motorrad schon wieder Kühlwasser verliert, obwohl Muztoo in Osch das Problem eigentlich behoben haben wollte. Stellt sich heraus, dass sie scheinbar einen gebrauchten Dichtring verbaut haben. Außerdem nimmt die Maschine immer schlechter Gas an und fängt regelmäßig an zu rasseln. Abgesehen davon trennt auch die Kupplung immer schlechter. Darum beschließen wir, in Novosibirsk die nächste Werkstatt aufzusuchen und nach den Ventilen und den Kupplungsscheiben zu schauen. Irgendeine Lösung wird es geben und geben müssen, da wir sonst kaum die endlosen, menschenleeren Strecken in Sibirien meistern können. Aber auch hier sind wir wieder entspannt und entschließen uns mit unseren neuen russischen Freunden eine Strandparty zu besuchen an dem riesigen Stausee/Flusssystem, um das sich die Stadt schlängelt. Und dort haben wir eine Menge Spaß! Wir treffen viele nette, junge Russen, machen ein Feuer am Strand, tanzen, quatschen, essen und trinken und haben eine tolle gemeinsame Zeit. Außerdem treffen wir den deutschen Reiseautoren und SPIEGEL-Redakteur Stephan Orth, der momentan ein Buch über Russland schreibt.
Am nächsten Tag zeigt sich in der Werkstatt NBS Motors, dass fünf Kupplungsscheiben komplett verbrannt sind und keinerlei Belag mehr haben. Zwei sind in extrem schlechtem Zustand, lassen aber wenigstens noch Konturen erkennen. Fazit des Mechanikers: „Kann 500 Kilometer halten, oder 2.000. Weiß man nicht, sieht aber schlecht aus.“ Als wir ihm sagen, dass wir mindestens 3.000 nach Ulan Bator schaffen müssen lächelt er amüsiert: „Viel Glück!“ Können wir gebrauchen. Wir beschließen, das Risiko einzugehen und Ende der Woche den Weg in die Mongolei über Irkutsk und den Baikalsee anzugehen. Es gibt auch keinerlei Alternative, denn da die Kupplungsscheiben ténéréspezifisch sind und direkt aus Japan bestellt werden müssen, benötigen sie mindestens drei bis vier Wochen, bis sie in Novosibirsk sind. Keine Option! Also genießen wir unsere Zeit in Novosibirsk mit unseren tollen Gastgebern, die selbst die Welt bereist haben und uns wertvolle Tipps geben, z.B. über Arbeiten in Vietnam. Die Stadt selbst gefällt uns so gut wie noch keine auf dieser Reise und die vielen Russen, die wir hier auf Couchsurfing Partys oder durch unsere Gastgeber kennenlernen sind sehr offenherzig und unternehmen viel mit uns. Wir lieben Sibirien und genießen unsere Zeit, der Rest sind Probleme für einen anderen Tag. Eins nach dem anderen ;-)!
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Martin (Donnerstag, 25 August 2016 18:36)
Wieder mal ein super Bericht. Danke dafür.
Da erlebt ihr ja in kurzer Zeit mehr als manche in ihrem ganzen Leben nicht. Aber schön zu hören, dass ihr euch nicht unterkriegen lasst. Viel Spaß noch bei der Weiterreise und auf dass die Tenere hält.
Gruß Martin
Joachim Lindner (Montag, 07 Oktober 2019 14:56)
Man sollte wegen eines einzelnen Vorfalles nicht gleich alle Kirgisen verurteilen! Ward Ihr nie betrunken? Komme gerade zurück aus Kirgistan, auch mit Mopped, und uns ist nichts dergleichen passiert! Kann nur positives berichten aus diesem Land!
Aber zu Eurer Entschuldigung, wir haben jetzt 2019!!
Bikergrüße aus Würzburg
Joachim und Petra